Text: DIE NEBELWANDERUNG Leila und Jonas kennen sich schon lange. Aber heute gehen sie zum ersten Mal gemeinsam wandern. Leila ist viel in den Bergen unterwegs und fit, Jonas zieht sie manchmal sogar auf, sie habe Steinbockblut. Er kommt aus dem Flachland und arbeitet im Büro. Am Wochenende geht er viel und gerne in den Wald. Er freut sich auf das Wandern in den Bergen und ist sicher, dass er das zu Fuss schaffen kann. Jonas hofft, auf der Bank vor der Hütte einen tollen Sonnenuntergang geniessen zu können. Die beiden brechen früh auf, damit sie genug Zeit für Pausen und den wunderbaren Ausblick haben. Morgennebel hängt noch in Schwaden in den Bäumen und an den Bergflanken, als sie sich mit der Gondel auf den Weg machen. Die ersten paar hundert Höhenmeter überwinden sie so ganz leicht. Jonas lacht Leila an und sagt: «So ist das mit der Bergsteigerei ja wirklich keine Hexerei!» Oben angekommen, wirft Leila einen Blick auf die Karte, dann folgen sie den Wegweisern. Sie kommen gut voran und Leila verspricht Jonas schon für die erste Pause eine grandiose Aussicht. Jonas ist sich da nicht so sicher, denn der Morgennebel will sich nicht verziehen. Der Nebel wird eher dichter. Leila geht nun etwas langsamer, weil sie den Weg nur noch ein paar Meter weit sieht. Bald ist der Nebel so dicht, dass Jonas ganz nah hinter Leila gehen muss, damit er sie nicht aus den Augen verliert. Alles ist feucht und die Jacken der beiden sind so nass, als ob es regnen würde. Jonas ist das nicht geheuer. Er vergegenwärtigt sich nochmals die Wanderkarte und die eng beieinander liegenden Höhenkursen tauchen vor seinem inneren Auge auf. Er ist sich sicher, dass es auf einer Seite des Weges steil bergab geht. Aber er kann es nicht sehen. Die beiden machen eine Pause. Jonas hat keine Lust mehr, er möchte lieber zurück zur Gondel und ins Tal, wo er nicht bei jedem Schritt abstürzen kann. Leila studiert lange die Karte. Dann schaut sie Jonas ernst an und sagt: «Wir müssen weiter zur ersten Hütte.» Tatsächlich wird es zwar noch etwas bergauf gehen, doch zur Gondelstation ist es viel weiter. «Der Weg ist weniger exponiert», beschwichtigt Leila, «und nur weil der Rückweg bergab geht, heisst das nicht, dass er einfacher ist.» Also gehen sie langsam weiter durch den dichten Nebel. Da taucht der nächste Wegweiser auf, nur noch eine Viertelstunde bis zur Hütte! Vor allem Jonas ist sehr erleichtert. Schon nach wenigen Metern kommen sie an einen Bergbach, er ist nicht tief, aber etwa drei Meter breit und es gibt keine Brücke. Leila sucht einen guten Weg und geht voraus, sie zeigt Jonas genau, wie er von Stein zu Stein gehen muss. Aber Jonas hat so grossen Respekt, dass er sich nicht vom Fleck bewegen kann. Leila lässt ihr Gepäck auf der anderen Seite liegen und kommt Jonas entgegen. So traut er sich zwei Schritte zu machen. Vor dem nächsten grossen Schritt kommt er nicht mehr weiter. Leila nimmt ihm sein Gepäck ab und nimmt ihn an der Hand. Gemeinsam schaffen sie die Bachquerung, ohne nasse Füsse zu bekommen. Nach einem letzten kleinen Anstieg erreichen sie die Hütte. Drinnen ist es wohlig warm und trocken und sie geniessen den wohlverdienten heissen Hüttentee. Während ihre Jacken trocknen, beschliessen sie, weil es viel zu gefährlich ist bei dem Wetter draussen zu wandern, hierzubleiben. Am Nachmittag lichtet sich langsam der Nebel und gibt die Aussicht auf die Berglandschaft frei. Bald geht die Sonne unter und lässt den Himmel in den schönsten Farben erstrahlen.